Dienstag, 16. Oktober 2012

Spracherwerb von Adoptivkindern

Der Spracherwerb älterer Adoptivkinder ist eine wichtige Voraussetzung für eine gute Integration des Kindes in seine neue Umgebung und vor allem für den Schulerfolg. Nach unserer Erfahrung lernen Kinder die neue Sprache rasend schnell. Erstaunlich ist dabei, dass auch Kinder, die erst im Schulalter adoptiert werden, die neue Sprache im Handumdrehen lernen und ihre Muttersprache in dem gleichen Tempo verlieren. Sie sprechen zwar nach einigen Monaten nahezu perfekt deutsch, können aber kaum noch ein Wort in Amharisch.

Mittlerweile gibt es auch Studien zum Spracherwerb von internationalen Adoptierten, die sich mit der Frage nachgehen, ob der komplette Bruch mit der Muttersprache Voraussetzung für die erfolgreiche Aneignung einer neuen Sprache ist.

Manche Wissenschaftler gehen davon aus, dass adoptierte Kinder ihre Muttersprache komplett verlieren und dieser Verlust ihnen eine neue Muttersprache ermöglicht. Das neuronale Netzwerk, das der ersten Sprache unterliegt, wird sozusagen neu gestartet. Die Forscher haben festgestellt, dass auch Kinder, die schon eine erste Muttersprache vor der Adoption hatten, später keinerlei Erinnerung daran hatten. Es fällt ihnen auch nicht leichter, sie als Jugendliche wieder zu lernen. Nur die Aussprache gelingt ihnen oftmals besser.
 
Andere Wissenschaftler hingegen finden Spuren der Muttersprache bei älteren Adoptivkindern. In einem Artikel von schwedischen Linguisten wird argumentiert, dass der Verlust der Muttersprache nicht vollständig ist, und der Erwerb der neuen Sprache auch nicht durch den kompletten Verlust der Muttersprache gefördert wird. Beides - der Verlust der ersten Sprache und der Erwerb der neuen - hänge wesentlich vom Alter des Kindes bei der Adoption ab.

Einig scheint man sich in der Frage zu sein, dass die Pubertät ein wesentlicher Einschnitt im Prozess des Spracherwerbs ist. Nach der Pubertät ist sowohl die erste Sprache endgültig verankert wie auch jeder neue Spracherwerb schwieriger.  


Sonntag, 14. Oktober 2012

Sind Adoptivfamilien 'normal'?

Ein Interview der Pädagogin Irmela Wiemann in der Septemberausgabe des Familienmagazins Nido im Kontext eines Artikels, der recht kritisch über Auslandsadoptionen berichtete, hat eine heftige Reaktion von Adoptiveltern hervorgerufen. Insbesondere die Aussage von Frau Wiemann  
„Adoptivfamilien werden nie so sein wie normale Familien.“
wurde von den Betreibern der Seite adoptionsinfo.de stark kritisiert.
 
Sieht man von der Frage ab, was den "normale" Familien in der heutigen Zeit mit Patchworkfamilien, Stieffamilien, Alleinerziehende etc. noch ausmacht, trifft Frau Wiemann einen wichtigen Punkt, der in der Adoptionsdiskussion häufig vernachlässigt wird. Wir haben ihn in einem früheren Post bereits ausführlich dargestellt und empfehlen daher als Beitrag zur Debatte:
 
(K)eine normale Familie vom 02. Juli 2011.
 

Samstag, 13. Oktober 2012

So nah, so fern

Cath Turner, Korrespondentin von Aljazeera in New York, berichtet in einer sehr persönlichen Dokumentation über ihre eigene Geschichte. Sie war als Baby durch die Operation Babylift aus dem damaligen Saigon nach Australien gebracht worden und in eine liebevolle Familie adoptiert worden. Durch die Operation Babylift wurden über 3.000 vietnamesischen Kindern in westliche Länder gebracht.

Als Asiatin im weißen Australien fühlte sie sich als Außenseiterin und suchte an einem Ort, der für sie Heimat sein kann. Sie fand ihn in New York, wo sie nun als Journalistin lebt. Mit Mitte zwanzig machte sie sich auf die Suche nach ihrer Mutter in Vietnam. Es soll hier nicht verraten werden, ob die Suche gelingt. Der Film ist sehenswert und hat sehr berührende Momente.

Das gilt insbesondere
  • für den einfühlsamen Adoptivvater, der sich nicht sicher ist, ob die Adoption richtig oder falsch war.
  • für den zynischen CIA Beamten, der offen zugibt, dass die Operation Babylift kein humanitäres Unterfangen war, sondern dass die Vietnamesen - Kinder wie Erwachsene - Bauernopfer in der internationalen Politik der damaligen Zeit waren.
  • für die adoptierte Vietnamesin, die keine glückliche Kindheit in Australien hatte und heute in Vietnam ein Kinderheim leitet, das wiederum Kinder zur internationalen Adoption freigibt.
Der Film wirft viele Fragen auf und hebt sich positiv von dem Schwarz-weiß-Schema anderer Berichte ab.

 

Dienstag, 9. Oktober 2012

Adoptierte erzählen

Eric Breitingers Buch 'Vertraute Fremdheit' mit 16 Porträts erwachsener Adoptierter ist vor einem Jahr hier besprochen worden - s.Blog v. 19.Nov. 2011. Der Verfasser ist selbst Adoptierter und erhält in diesem Jahr für seine Arbeit den Medienpreis der Deutschen Arbeitsgemeinschaft der Kinder und Jugendhilfe, den Hermine-Albers-Preis.