Montag, 30. April 2012

Der Adoptionsboom in Äthiopien

Das Wall Street Journal veröffentlichte am 28. April einen Bericht über eine Adoption aus Äthiopien, der viele typische Situationen gut beschreibt und daher als symptomatisch angesehen werden kann:

Die heute 7 Jährige Melesech wurde vor drei Jahren aus Äthiopien adoptiert. Ihre Mutter starb an Malaria; der Vater hat weitere sechs Kinder und eine zweite Frau. Er wurde vor vier Jahren von einem Mittelsmann angesprochen, ob er seine Kinder nicht abgeben wolle.

Zunächst war der Vater bereit, zwei seiner Söhne abzugeben, die damals acht und neun Jahre alt waren. Doch das Waisenhaus wollte nur Kinder, die jünger als fünf Jahre  waren. Daher kam er zurück mit Melesech. Er brachte seine Tochter nach Hosanna, ca. 60 Kilometer von seinem Dorf entfernt. "Ich gab sie weg, weil ich arm bin", sagte der Vater. Man versprach ihm, dass sie ihm später Geld schicken würde. Die Adoptiveltern besuchten ihn einige Jahre später und er freute sich über die Bilder von Melesech. Nach den Angaben des Wall Street Journals erwartete der Vater des Mädchens auch Geld von den Adoptiveltern, was diese jedoch bestreiten. Bis heute hat er gemischte Gefühle über die Adoption. Einerseits wartet er auf ihre Rückkehr, andererseits überlegt er, weitere Kinder zur Adoption freizugeben. "Wenn ich Bilder von Melesech sehe und wie glücklich sie ist", sagt er, "wünschte ich, ich könnte meine anderen Kinder auch schicken."

In einem Kommentar zum Artikel schreibt eine Adoptivmutter über ihre Erfahrungen in Äthiopien. Sie berichtet, wie sie von der Familie ihres Kindes um Geld gebeten wurde. Dabei beobachtete sie Sozialarbeiter einer Vermittlungsstellen, die den leiblichen Müttern Geld für ihre Kinder anboten. Die Adoptivmutter ist zurecht von der Art der Kindervermittllung schockiert. Ihren Kommentar schließt sie mit Konsequenzen für Internationale Adoptionen. Zwar sollten Adoptionen weiterhin möglich sein, aber man solle solche Kinder adoptieren, die über 5 Jahre alt und Waisen sind oder gesundheitliche Probleme haben. Die äthiopische Regierung solle endlich die Haager Konvention unterzeichnen. Alle Beteiligten sollten darauf hin arbeiten, dass Familien zusammen  bleiben. Und man solle gegen die vorherrschende Form der Ausbeutung in internationalen Adoptionen protestieren.

Sonntag, 15. April 2012

Die Suche nach der ersten Familie

Immer mehr amerikanische Adoptiveltern äthiopischer Kinder machen sich auf die Suche nach der Herkunftsfamilie ihrer Kinder, weil sie Zweifel an den Angaben der Vermittlungsstellen über Eltern und Verwandte haben. Entweder sind es die Kinder selbst, die darauf bestehen, dass ihre Eltern - anders als in den Unterlagen angegeben - noch leben. Oder die Informationen sind so dürftig, dass die Eltern selbst nach recherchieren wollen. Ein Möglichkeit sich über die Suche zu informieren ist das Yahoo Forum ethiopiabirthfamilysearch@yahoogroups.com. Dort werden Erfahrungen über die Suche nach den Eltern ausgetauscht und vertrauenswürdige Kontaktpersonen weiterempfohlen. Es gibt zudem mittlerweile eine website, auf der die Dienste einer Recherche in Äthiopien angeboten wird. Sie heißt EthioStork. Wir haben persönlich keine Erfahrungen mit dem Suchdienst und können ihn daher nicht empfehlen.

Dass es solche Foren und Anbieter gibt, sollte uns zu denken geben. Die Kommentare auf dem Yahoo Forum zeigen zudem zweierlei: Zum einen sitzt das Misstrauen der Eltern gegebenüber den Vermittlungsstellen tief. Weder werden Hilfestellung geleistet noch sind Vermittlungsstellen an der Wahrheit der Herkunftsgeschichte der Kinder interessiert. Vielmehr gehen Vermittlungsstellen zurecht davon aus, dass eine Suche auf eigene Faust ihre Arbeit infrage stellt und kritisiert. Zweitens berichten Adoptiveltern, die sich auf die Suche begeben haben, von der Verzweiflung vieler Herkunftsfamilien, die sich Sorgen um ihre Kinder machen. Besonders in den Regionen, in denen Heime geschlossen wurden, werden nun keine  Entwicklungsberichte mehr an die Verwandten weitergeleitet. Familien sind daher von Informationen über ihre Kinder komplett abgeschnitten. Es gibt keine Infrastruktur und scheinbar keine verantwortlichen Stellen, die sicherstellen, dass Entwicklungsberichte für Herkunftseltern bereit gestellt werden.

Eltern, die sich auf die Reise zur Herkunftsfamilie begeben, machen oftmals wichtige aber auch bedrückende Erfahrungen. Einen Reisebericht einer alleinstehenden Mutter eines äthiopischen Mädchens gibt es hier.

Sie schreibt über die Frage, worauf man sich vorbereiten kann:

"What did I feel most unprepared for? Feeling like a kidnapper as we left Ethiopia because my daughter never really needed to be adopted.

I was oh so very naive when I set out on my journey to become a parent. I knew what pregnancy and childbirth entailed. I knew that it wasn't important to me to experience pregnancy or childbirth. I wanted to be a mom. There were, I thought, millions of children that already existed who needed mothers. Why go to the trouble of creating more children...and it would have been trouble involving doctor visits, ordering sperm online, etc, as I was single...when all I cared about was being a mom and not giving birth.

I thought there were all these children who needed mothers.

I still think there are children who need mothers. Unfortunately, they are rarely the ones who are available for adoption, at least in Ethiopia.

I thought I was adopting an orphan. I was unprepared to be told by my child, "my mom's not dead." I shouldn't have been. When I asked questions about her mother during the process, I was told, "she doesn't seem to be aware of her mother's death." Why didn't I ask more questions? Because I was stupid and naive.

Now I'm just angry and bitter. I'm glad Violet is a forgiving child. She knows her mother didn't have a say in her relinquishment but she accepts the path her life has taken...at least so far. I am less forgiving. I'm angry at the biases that led to Violet's relinquishment and I'm even angrier at the adoption system that allowed it to happen. I'm angry at myself that I took part in it."

Dienstag, 3. April 2012

Ethnozentrismus und ethische Verfahren

Kann man an Äthiopien die gleichen Rechtsgrundsätze anwenden wie an entwickelte Demokratien? Oder ist es 'ethnozentrisch', wenn man dies tut? Das war der Vorwurf eines Kommentars auf das 'Einmaleins der ethischen Adoption'.

Man kann nicht nur sondern man muss. Und zwar aus mehreren Gründen:
  • Aus Gründen der Rechtssicherheit im eigenen Verfahren. Eine äthiopische Adoption muss anerkannt und umgewandelt werden. Dabei wird auch die Kompatibilität der Verfahrensgrundsätze geprüft. Wenn das deutsche Gericht zu dem Schluss kommt, dass wesentliche deutsche Rechtsgrundsätze verletzt wurden, können diese Adoptionen nicht anerkannt werden.
  • Aus Gründen der Rechte des Kindes an der Kenntnis der eigenen Herkunft. Es gibt gute Gründe für Geburtsurkunden und Abstammungsurkunden. Deutsche Behörden sollten auf äthiopische Geburtsurkunden drängen, in denen die Eltern tatsächlich genannt werden. Dies erlaubt dem Kind seine Herkunft zu dokumentieren.
  • Menschenhandel lässt sich nur durch Information, Transparenz und Offenheit bekämpfen. Die allseits herrschende Einstellung, dass man bei der Betrachtung äthiopischer Dokumente besser nicht so genau hinschaut, öffnet Korruption und Dokumentenfälschung Tür und Tor. Nur wenn man es von deutscher Seite ablehnt, dubiose Dokumente in Empfang zu nehmen, wird sich daran etwas ändern.
Kann man darüber hinaus noch in das Herkunftsdorf reisen? Oder überfordert man damit nicht die Adoptivfamilie? Das ist ein ernster Punkt. Es spricht vieles dafür, die erste Begegnung mit dem Kind und die Begegnung mit der Herkunftsfamilie voneinander zu trennen. Beides sollte sorgfältig vorbereitet werden. Insbesondere die Vermittlungsstellen sollten eine Begegnung mit der Herkunftsfamilie zu einem Verfahrenstandard machen. Eine ausführliche Dokumentation der Familie und die Wege, wie das Kind ins Heim gekommen ist, gehört mit dazu.

Diese Standards sind nicht ethnozentrisch sondern grundlegende Prinzipien zum Schutz des Kindes. Eine internationale Adoption ist ein tiefer Eingriff in die Rechte des Kindes und der Herkunftsfamilie. Er sollte wohl überlegt und vorbereitet sein. Zumindest sollte sicher gestellt sein, dass das Kind wirklich adoptionsbedürftig ist und nicht Opfer finanzieller Interessen wird.

Adoptiveltern sollten die ersten sein, die ein Interesse an besseren Standards haben. Denn sie tragen alle Risiken einer unethischen Adoption.