Freitag, 22. Juli 2011

Berichte über Schließungen äthiopischer Kinderheime

Das amerikanische Außenministerium informiert aktuell  über die Schließung von Kinderheimen in Südäthiopien.

Wie zudem aus amerikanischen Adoptionsforen bekannt wurde, wurde bereits im Mai dem Waisenhaus Mussie in Hossana die Lizenz entzogen. Zwei Mitarbeiter, darunter auch der Direktor, wurden inhaftiert. Nach Angaben amerikanischer Vermittlungsstellen stand die Schließung des Heims im Zusammenhang mit nicht erfolgten Sozialprojekten, zu denen sich Heime in Äthiopien verpflichten müssen, um ihre Lizenz zu erneuern.

Bis 2009 firmierte Mussie unter dem Namen Bethzada (auch Bethzatha, Bethsaid, Bethezata, Betezatha, Bete zieda oder Bethsaida geschrieben). Bethzatha war angeblich an der Fälschung von Dokumenten für die Vermittlungsstelle Better Future Adoption Services beteiligt, der im Dezember 2010 die Lizenz entzogen wurde.

Schließlich gibt es einen neuen Blog, der sich seit einigen Wochen exklusiv mit der Schließung äthiopischer Kinderheime beschäftigt. 

KIDMIA

Es gibt nun in Addis Abeba eine Organisation, die sich für lokale Adoptionen einsetzt. KIDMIA hat zum Ziel vor Ort Lösungen für die verlassenen Kinder in Äthiopien zu finden. Eine Barriere für einheimische Adoptionen sind die Finanzmittel, die über Auslandsadoptionen ins Land kommen:

"There are many international adoption agencies working in Ethiopia but none are actively working in promoting or facilitating domestic adoption. Local orphanages that work with these organizations are reluctant to make children available for domestic families because of the large amount of money that is involved when children are adopted internationally. One particular director let us know in no uncertain terms that it ‘was a survival issue’ as they depended on the money from international adoptions to maintain their institutions." 

Donnerstag, 21. Juli 2011

Spielt das Alter eine Rolle?

Sollte es eine Altersgrenze für adoptierte Kinder geben? Im Prinzip gibt es keinen Grund, Adoptionen auf kleine Kinder oder gar Säuglinge zu begrenzen. Ältere Kinder haben oft eine natürliche Bindung mit ihren leiblichen Eltern erfahren und können daher neue Bindungen besser eingehen als solche, die ihre ersten Lebensmonate im Heim verbrachten.

Allerdings haben Kinder, die älter sind als sieben Jahre, kaum noch eine Chance vermittelt zu werden. In der Realität führt die Altersgrenze dazu, dass das Alter von älteren Kindern um bis zu drei Jahre nach unten manipuliert wird, um sie dennoch zu vermitteln. Mit schwerwiegenden Folgen.

Die Neun- bis Zehnjährigen, in der Regel Mädchen, die als angeblich erheblich jüngere Kinder adoptiert werden, sind häufig Opfer von Trennungen, Gewalt und Misshandlungen durch Stiefeltern, abgeschoben in die weitere Verwandschaft und zu harter Arbeit herangezogen. Von dort laufen sie weg und enden auf dem Merkato oder auf der Landstraße, wo sie von der Polizei und den örtlichen Behörden aufgegriffen werden. Sie haben schlimme Erlebnisse hinter sich, waren auf sich gestellt und mussten um ihr Überleben kämpfen.

Nun kommen sie in eine deutsche Familie, die zunächst das angegebene Alter glauben und dem Kind die Kindheit zurückgeben möchte, die es schon weitgehend verloren hat. Die Eltern stehen dem Autonomiebedürfnis und Misstrauen ihres Kindes hilflos gegenüber. Das Kind wird angeblich altersentsprechend in das erste Schuljahr eingeschult. Seine Schulkameraden sind behütete jüngere Kinder, deren Sprache es nicht spricht und deren Geschichten und Spiele ihm wenig sagen. Neben Sprach- und Lernschwierigkeiten kommt die nahende Pubertät und die damit verbundenen Machtkämpfe mit den Eltern, ohne dass das Kind jemals als Kind bei seinen Adoptiveltern wirklich ankommen konnte. Die Familie erlebt eine schwere Belastungsprobe, auf die sie in keiner Weise vorbereitet war, als sie sich für ein älteres Kind entschied.

Es ist ein fundamentaler Unterschied, ob ein Kind bei seiner Adoption sechs oder neun Jahre alt ist. Es ist kein Kavaliersdelikt, das Alter von Kindern nach unten zu manipulieren und die Herkunft dieser Kinder im Dunkeln zu lassen. Auch wenn grundsätzlich nichts dagegen spricht, auch Zehnjährige zur Adoption freizugeben und ihnen durch die deutsche Schullaufbahn zu helfen, müssen sich alle Beteiligte freiwillig und bewusst für diese Aufgabe entscheiden. Sie müssen sehr spezifisch darauf vorbereitet werden, um die richtige Einstellung zu ihrem Kind zu entwickeln. Damit sie nicht nicht unter Vorspiegelung eines angeblich jüngeren Kindes eine böse Überraschung erleben. 

Mittwoch, 20. Juli 2011

Eine Reformagenda der Internationalen Adoption

Seit mehreren Jahren findet man Berichte über unethische Praktiken in der Vermittlung von Adoptivkindern aus Äthiopien in den Medien. Es gibt Hinweise von offiziellen Stellen darauf, dass im Land Strukturen entstanden sind, in denen Kinder aktiv und teilweise unter dem Einsatz krimineller Methoden zu Sozialwaisen gemacht werden, um sie ins Ausland zu vermitteln. Dabei ist das primäre Motiv vieler Beteiligter ein finanzielles, kein humanitäres. Es besteht eine wachsende Nachfrage nach Kleinkindern, und auch ältere Kinder werden aus bestehenden Familienverbänden zum Zweck der Adoption herausgegeben. Die Eltern hoffen, dass ihre Kinder durch eine Adoption ins Ausland Entwicklungschancen haben, die sie ihnen nicht bieten können. Um die Abgabe zu vereinfachen, werden Papiere gefälscht und falsche Angaben gemacht. Damit wird den Kindern ihre Herkunft geraubt und die Basis für eine neue Familienanbindung untergraben.

Als Adoptiveltern wissen wir, dass Äthiopien derzeit nicht in der Lage ist, für alle seine elternlosen Kinder vernünftig zu sorgen. Auslandsadoptionen sind Maßnahmen der Einzelfallhilfe, die jedoch das Problem von Armut und fehlender Entwicklung nicht lösen können - und das auch gar nicht wollen. Diese grundsätzlich sinnvolle Praxis der Einzelfallhilfe wird jedoch durch unethische Praktiken zunehmend unterlaufen.

Wir fordern die zuständigen Stellen auf, folgende Maßnahmen zu ergreifen, um kriminelle Praktiken (Kinderhandel, Betrug, Korruption, Urkundenfälschung) in Auslandsadoptionen zu bekämpfen:

  1. Adoptionen dürfen nur noch auf der Grundlage einer möglichst umfassenden und lückenlosen Dokumentation der leiblichen Familie des Kindes und der Umstände der Abgabe ins Heim erfolgen. Zeugenaussagen über die Abgabesituation müssen eingeholt und dokumentiert werden. Vermittlungsstellen sind für den Wahrheitsgehalt der Dokumentation verantwortlich. Gerichte und Jugendämter sind gehalten, diese Informationen von den Vermittlungsstellen einzufordern.
  2. Vermittlungsstellen sind zudem gehalten, im Regelfall Kontakte zwischen Adoptiveltern und Herkunftsfamilie herzustellen und aufrecht zu erhalten. Dies verhindert Falschaussagen über die Familiensituation und hilft dem Kind in seiner weiteren Entwicklung.
  3. Alle Zahlungen im Zusammenhang einer internationalen Adoption müssen belegt und gerechtfertigt sein. Zahlungen an Familien und Mittelsmänner für die Abgabe von Kindern müssen durch Kostentransparenz unterbunden werden. Unkostenerstattungen müssen dem realen Aufwand entsprechen. Ansonsten sind sie eine verdeckte Form des Kinderhandels.

Donnerstag, 14. Juli 2011

Ethische Werte in Adoptionen - Vortrag von Ron Nydam

Ist Adoption überhaupt ethisch? In den USA gibt es mittlerweile eine breite Bewegung von Adoptierten und leiblichen Müttern, die Adoptionen aus ethischen Gründen grundsätzlich ablehnen. Zu viele Lügen, Druck und Scham im Adoptionsprozess überschatten das Leben vieler von Adoption Betroffener.

Auf der Jahresversammlung des American Adoption Congress im April 2011 in Orlando hielt Ron Nydam einen bemerkenswerten Vortrag über Ethik in Adoptionen. Das Problem sei nicht die Institution der Adoption. Das Problem sei, dass Adoptionen in den USA heute unethisch durchgeführt werden.

Er betonte vier ethische Grundsätze:
  1. Bedürftige Kinder brauchen Schutz und Fürsorge. Adoption an sich ist ein ethisch positiver Wert.
  2. Leibliche Eltern sind für ihre Kinder verantwortlich. Eltern können ihre Kinder zur Adoption freigeben, aber sie dürfen dies nicht anonym tun. Das gilt auch für Eizell- und Samenspenden. Anonyme Abgaben von Kindern sind vielleicht legal, sie sind aber nicht ethisch vertretbar.
  3. Menschen, insbesondere junge Menschen, müssen vor Unrecht geschützt werden. Unrecht ist, wenn Adoptierte keinen Zugang zu ihrer Herkunft haben, wenn sie nicht trauern dürfen, wenn sie bewusst in Unwissenheit gehalten werden. Die Aufgabe von Adoptiveltern ist es, ihren Kindern dabei zu helfen, Trauer zu zeigen.
  4. Alle Beteiligte an Adoptionen müssen ihren Standpunkt zeigen könen. Es geht um Lernen, Verstehen und Dialog. Gegenseitiger Respekt ist das Gegenteil von Scham.
Viele seiner Ausführungen gelten auch für Auslandsadoptionen. In den USA ist die Debatte aufgrund der Praxis der geschlossenen Adoption und der hohen Zahlen von Adoptionen polarisierter und emotionaler als bei uns. Aber die von Ron Nydam ausgeführten Werte und Grundsätze ethischer Adoptionen sind auch für uns eine gute Grundlage für weitere Diskussionen und Dialoge.   

Montag, 11. Juli 2011

Opfer des Adoptionsbooms

Adoptionen und Korruption in Äthiopien ist das Thema eines neues Projekts des Pulitzer Centers für Krisenberichterstattung. Kathryn Joyce, die vor kurzem einen lesenswerten Artikel in der Zeitschrift The Nation über den missionarischen Einsatz Evangelikaler Christen für Adoptionen veröffentlichte, berichtet nun im Rahmen des Pulitzer Centers spezifisch über Adoptionen aus Äthiopien. In ihrem letzten Posting geht sie darauf ein, wie amerikanische Vermittlungsagenturen mit der Begrenzung der Vermittlungszahlen durch die äthiopische Regierung umgehen.

Freitag, 8. Juli 2011

Von Profit und Kosten

Welche Kosten einer Adoption sind angemessen? Auslandsadoptionen kosten je nach Land zwischen 10.000 und 20.000€. Darin inbegriffen sind die Verwaltungskosten in Deutschland und im Herkunftsland sowie Zahlungen für Projekte der Vermittlungsstellen und Unkostenerstattungen an das Heim.

Sowohl die Projektspenden als auch die Unkostenerstattungen an die Heime stellen bereits ein ethisches Dilemma dar. Die äthiopische Regierung koppelt die Zulassung der Vermittlungsstelle mit dem Unterhalt sozialer Projekte, die entweder von der Vermittlungsstelle selbst oder von der Regierung betrieben werden können. Zudem erstatten Adoptiveltern den Heimen die Unterhaltskosten für die Zeit, die das Kind im Heim ist. Diese Zahlungen geben dem Heim eine klare finanzielle Präferenz für Adoptionen im Unterschied zur Rückkehr in die Familie, die diesen Beitrag nicht aufbringen kann. Potenziell besteht hier ein Einfallstor für Korruption und lukrative Einnahmequellen für die Betreiber von Heimen. In dem kürzlich aufgedeckten Korruptionsskandal in Adoptionen aus China spielten (allerdings sehr viel höhere als die derzeitigen Kostenübernahme der Heimunterkunft in Äthiopien) 'freiwillige' Spenden von Adoptiveltern an Heime eine wichtige Rolle für die Herausbildung krimineller Strukturen. Andererseits hat das Heim auch einen legitimen Anspruch darauf, dass seine Kosten gedeckt werden und die Adoptiveltern sind diejenigen, die diesen Anspruch am ehesten erfüllen können. Das Gleiche gilt für die Unterstützung sozialer Projekte in einem Land, das keinen eigenen Kinderschutz finanzieren kann.

Wichtig ist, dass Vermittler und Heime aus der Vermittlung von Kindern keinen finanziellen Vorteil ziehen können. Das gilt insbesondere in Situation, in denen Heime für die Abgabe von Kindern zu zahlen bereit sind. Unangemessene und unkontrollierte Zahlungen führen immer wieder dazu, dass Kinder adoptiert werden, die nicht adoptiert werden müssten. Bessere Regulierung, Kostentransparenz und eine klare Überprüfung der Bedürftigkeit der Kinder sind die einzige Antwort für dieses Problem. Hier sind die Vermittlungsstellen gefordert. Was können Eltern tun? Sie können darauf bestehen, dass ihnen mitgeteilt wird, warum und von wem die Kinder im Heim abgegeben wurden, welche Beträge an die Heime gezahlt werden und ob das Heim selbst für die Abgabe des Kindes gezahlt hat. Diese Fragen müssen gestellt und beantwortet werden, damit das wichtigste Bindeglied in der Adoptionskette - die Abgabe ins Heim - transparent gestaltet wird. 

Montag, 4. Juli 2011

Dürre und Hunger in Äthiopien

In den letzten Tagen häuften sich die Meldungen über eine drohende Hungersnot in Äthiopien. Der Spiegel berichtete, dass über zehn Millionen Menschen am Horn von Afrika durch die schwerste Dürre seit 60 Jahren vom Hunger bedroht sind.

Nach Angaben der UNO sei in Äthiopien der Verbraucherpreisindex für Lebensmittel seit Mai im Vergleich zum Vorjahr um fast 41 Prozent gestiegen. Über drei Millionen Menschen in Äthiopien sind vom Hunger bedroht.

Unicef weist darauf hin, dass die anhaltende Dürre am Horn von Afrika vor allem Kleinkinder schwer trifft. In der Region seien 1,8 Millionen Kleinkinder unter fünf Jahren auf zusätzliche Versorgung angewiesen.

Spenden nehmen Oxfam oder Unicef entgegen.

Samstag, 2. Juli 2011

(K)eine normale Familie

Die meisten Adoptiveltern wünschen sich eine normale Familie. Eltern adoptieren, weil sie entweder keine eigenen Kinder bekommen können oder weil sie zusätzlich zu ihren leiblichen Kindern weiteren Kindern eine Familie bieten wollen. Sie hoffen, mit ihren adoptierten Kinder eine normale Familie werden zu können und tun oftmals alles, um den Anschein der Normalität aufrecht zu erhalten. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Dokumente der Kinder (Geburtsurkunde) keinen Hinweis auf ihre leiblichen Eltern oder die Adoption enthalten sollen. In der Familie nimmt das Kind den Platz eines leiblichen Kindes ein.

Und obwohl die Kinder sich auch nichts anderes wünschen als eine normale Familie, ist die Adoptivfamilie anders. Das wird insbesondere den Eltern schmerzlich bewusst, die bereits leibliche Kinder haben und sich stark genug fühlen, weitere Kinder zu adoptieren. Sie erfahren, wie durch die Adoption ihre Familie verändert und auch das Verhältnis zu ihren leiblichen Kindern neu definiert wird. Ihre 'alte' Familie geht unwiederbringlich verloren.

Während das Anderssein zunächst nichts Negatives sein muss, entsteht aus der Inkongruenz zwischen Erwartung und Realität ein ethisches und tatsächliches Problem. Wenn Adoptiveltern eine normale Familie erwarten und ihre adoptierten Kinder wie leibliche Kinder behandeln, laufen sie Gefahr, viele Bedürfnisse ihrer Kinder nicht zu erkennen und auf ihre Kinder falsch zu reagieren. Adoptivkinder haben die Trennung von ihrer Familie erlebt und in vielen Fällen Misshandlungen, Vernachlässigung, Hunger und Lieblosigkeit. Die Liebe ihrer neuen Eltern ist häufig nicht genug, um diese Erfahrungen zu kompensieren. Der 'Normalität' obwohl von allen Seiten gewünscht fehlt die Grundlage von Vertrauen und Zuversicht.

Das Buch "Survival Tipps für Adoptiveltern" von Christel Rech-Simon und Fritz B. Simon macht eindrucksvoll auf diese Falle aufmerksam und ist daher Pflichtlektüre für alle zukünftige Adoptiveltern. Sie erklären, wie 'normale' Erziehungsmethoden bei Adoptivkindern das Gegenteil bewirken können. Die Bücher von Bettina Bonus sind sehr aufschlussreich auch für Eltern von Kindern, die nicht traumatisiert sind.

Für derzeitige und zukünftige Adoptiveltern ist es von zentraler Bedeutung, sich einzugestehen, dass über den Weg der Adoption keine normale Familie gegründet werden kann. Die neue Familie, die durch Adoption entsteht, ist anders. Sie ist gegründet auf dem fundamentalen Verlust des Kindes seiner eigenen Eltern und seiner leiblichen Familie. Dieser Verlust wird die Adoptivfamilie begleiten, prägen und auf immer verändern. Dieses zu akzeptieren und zu verstehen ist ein großer Schritt für die neue Familie. Ihn zu negieren, verharmlosen und verschweigen, führt zu Scham, Frustration und Konflikten.

Zurzeit wird in der Vorbereitung zukünftiger Adoptiveltern die Situation des verlassenen Kindes sehr wenig thematisiert. Zu sehr konzentrieren sich Vorbereitungsseminare auf die Aufnahmesituation in die neue Familie und die Bindung an die neue Familie mit der Hoffnung, dass diese dann zu einer 'normalen' Familie mutiert. Das ist eine Illusion. Ohne den Verlust des Kindes zu verstehen und als integralen Bestandteil der neuen Familie zu akzeptieren und ohne die Einsicht, dass die Adoptivfamilie keine 'normale' Familie sondern anders ist, kann die neue nicht 'normale' Familie kaum gelingen.