Samstag, 25. Juni 2011

Die Betreuung der Herkunftsfamilie

Darf die Vermittlungsstelle mit der abgebenden Familie Kontakt aufnehmen? Zurzeit halten sich die Vermittlungsstellen in dieser Frage sehr zurück. Zu groß ist die Befürchtung, dass ihnen unterstellt werden könnte, Familien in Richtung einer Abgabe ihrer Kinder zu beraten. Die Erfahrungen mit den Skandalen über sogenannte Child Finder, die von Vermittlungsstellen in äthiopische Dörfer geschickt wurden, um adoptierbare Kinder zu akquirieren, sitzen zu tief.

Die Zurückhaltung der Vermittlungsstellen führt dazu, dass sie die Adoptiveltern noch nicht einmal in Richtung einer Zusammenkunft mit den abgebenden Eltern beraten, weil sie hierdurch einen Interessenkonflikt befürchten. Das hat zur Folge, dass die Adoptiveltern selber entscheiden müssen, ob sie eine Begegnung mit den abgebenden Eltern wollen, bzw. ob sie vorbereitet in dieses Gespräch gehen wollen. Eine Beratung findet nur auf Initiative der Adoptiveltern hin statt. Die abgebenden Mütter dürfen aus den gleichen Gründen nicht von der Vermittlungsstelle betreut werden. Das hat zur Konsequenz hat, dass sie an diesem für sie sicher sehr emotionalen Tag vollkommen alleine dastehen, da der äthiopische Staat ihnen keine Sozialarbeiter oder ähnliches zur Seite stellt.
 
Wenn - wie an dieser Stelle mehrfach betont - ein Kontakt zwischen der abgebenden und aufnehmenden Familie zentraler Bestandteil für die Identität des Kindes ist, dann muss die Kontaktaufnahme auf beiden Seiten betreut und moderiert werden. Idealerweise sollten die äthiopischen Behörden die abgebenden Familien durch Sozialarbeiter betreuen. Wenn auf Seiten der äthiopischen Behörden keine Hilfestellung erfolgt, dann sollte die Vermittlungsstelle diese Aufgabe übernehmen. Die Reduzierung der Vermittlungszahlen gibt den Vermittlungsstellen die Chance, die Qualität der Vermittlungsverfahren für alle Beteiligten zu verbesseren und mögliche Traumata zu verhindern. Die Vermittlungsstellen sollten diesen Schritt in ihre Vermittlungsverfahren integrieren und offen gegen Kritik verteidigen. 

Mittwoch, 22. Juni 2011

Begrenzung der Adoptionsverfahren

Es gibt neuerdings eine (noch unbestätigte) Information, dass die durch die äthiopische Regierung beschlossenen Reduktionen im Adoptionsverfahren (auf 10%) so umgesetzt werden sollen, dass pro Vermittlungsstelle 2 Adoptionen im Monat durchgeführt werden. Für die deutschen Vermittlungsstellen würde das keine allzu große Veränderung bedeuten, da hier die Gesamtzahl der Adoptionen ohnehin nicht so groß ist. Die sehr viel größeren US-amerikanischen Vermittlungsstellen wären davon sehr viel stärker betroffen.
Hintergrund dieser Maßnahme sind angeblich nicht nur die aufgedeckten Manipulationen im Vorfeld der Adoptionsverfahren. Auch das manchmal als herablassend oder gar entwürdigend empfundene Auftreten von Adoptiveltern in Äthiopien soll dazu beigetragen haben.
Zur Reduktion der Adoptionsverfahren: Was steckt hinter der MOWA-Entscheidung? (Post v. 8.Mai 2011)
Zum Verhalten von Adoptiveltern in Äthiopien: Schlagen, Schreien - und Schweigen (Post v. 12. April 2011)

Sonntag, 12. Juni 2011

Verstörende Berichte

In der letzten Woche gab es eine Reihe erschütternder und zum Nachdenken anregender Berichte über internationale Adoptionen. Sie begann mit einem Artikel in der englischen Zeitschrift The Independent, der die hässliche Seite der internationalen Adoption beleuchtete. Der Artikel fordert eine strengere Umsetzung des Haager Übereinkommens, heißt die IA dabei grundsätzlich gut: "Many of these adoptions are legitimate, beneficial, and bring nothing but joy to the new parents and hope to the child. But there is another side ..." Bemerkenswert auch die Diskussion, die sich hier anschließt.

Ein weiterer schmerzhafter Bericht über die Vermischung von Pädophilie, Kinderheimen und internationalen Adoptionen in Nepal von einem Mitarbeiter von Terre des Hommes findet sich hier. Zugleich mehren sich die Berichte über die kommerzielle Vermittlung von Kleinkindern aus China und die Rolle finanzieller Zuwendungen von Adoptiveltern an Kinderheime.

Schliesslich fand sich auf Huffington Post ein lesenswerter Beitrag von Mark Canavera der den Begriff 'Aids-Waisen' als Phrase kritisiert und dazu auffordert, hier sehr genau nach Einzelfällen zu differenzieren.

Donnerstag, 9. Juni 2011

Offene Internationale Adoption


Während in Deutschland die offene Adoption mittlerweile informell zum Standard geworden ist, ist dies in der Auslandsadoption noch längst nicht angekommen. Warum eigentlich? Stellt man das Kindeswohl in den Mittelpunkt, dann ist auch für international adoptierte Kinder der Umgang mit der ersten Familie ein wertvoller, wenn nicht notwendiger Bestandteil ihrer Identität als Deutsche mit nichtdeutschen Wurzeln. 

Die derzeitige Praxis verhindert bislang weitgehend einen Kontakt zur leiblichen Familie. Lediglich eine Verabschiedung der Familie vom Kind wird bisweilen ermöglicht. Aber selbst das ist nicht Teil des Pflichtprogramms, wenn Kinder abgeholt werden, deren Familie bekannt ist. Adoptiveltern werden vielmehr verunsichert mit dem Hinweis, die Familie könne Geld erwarten oder sogar verlangen, oder den Kindern würde der Auftrag mitgegeben, im reichen Deutschland für sie zu sorgen. Dem gehe man besser aus dem Weg, wenn man der Familie erst gar nicht gegenübertrete. Der Schnitt mit der Herkunftsfamilie wird dann später zu kompensieren versucht, indem man mit den älteren Kindern nochmals ins Land reist und z.B. das Waisenhaus besucht. Dann ist es jedoch meist zu spät, mit der Herkunftsfamilie Kontakt aufzunehmen: Viele Kontakte sind verschüttet, in der Familie hat sich viel ereignet, Großeltern versterben, ohne dass die Kinder sie kennengelernt haben, und Kinder werden geboren. Dörfer werden verlassen und Familien auseinandergerissen. 

Es spricht viel dafür die Praxis zu ändern. Die Arbeit mit der abgebenden Familie sollte, soweit sie bekannt ist, einen erheblich größeren Stellenwert in der Adoptionsvermittlung bekommen. Die sorgfältige Dokumentation der Herkunft trägt nämlich dazu bei, Korruption und Kinderhandel zu unterbinden, wie hier schon mehrfach ausgeführt wurde. Darüber hinaus vereinfacht ein dauerhafter Kontakt den Umgang mit Identitätsfragen des Kindes. Dieser Kontakt kann im regelmäßigen Austausch von Berichten und Fotos bestehen – und sei es nur eine Karte zu Weihnachten und an Geburtstagen. Eine Wurzel“suche“ wird weitgehend überflüssig, wenn die Wurzeln schon immer bekannt sind. Bohrende Fragen über die Gründe der Adoption können einfacher gestellt und auch beantwortet werden, wenn die Adressaten greifbar sind.

Bis jetzt gibt es kaum Strukturen dafür. Darum müssen Adoptiveltern selbst tätig werden. Der erste Schritt in Richtung offene Adoption wird bei der Abholung des Kindes getan. Wenn die Vermittlungsstelle unwillig ist, ein Treffen zu organisieren, sollte man ein wenig hartnäckig werden und nur gute Gründe (z.B. Gewalt und Missbrauch in der Familie) akzeptieren.

Das Treffen mit der Herkunftsfamilie sollte gut vorbereitet sein. Wenn es möglich ist, sollte es in zwei separaten Teilen stattfinden. Zum einen geht es um das Kennenlernen und die  Verabschiedung des Kindes. Es ist dabei durchaus angemessen, kleine (keine teuren, aber dafür aufmerksame) Geschenke zu überreichen. Die Familie kann dem Kind seinen Segen mit auf dem Weg geben und damit den Start in die neue Familie erleichtern. Die Adoptiveltern bekommen einen Eindruck über den Umgang in der Familie und lernen dabei viel über ihr Kind. Das Kind erfährt, dass ihre leibliche Familie ihren neuen Eltern Vertrauen schenkt.

In einem separaten Teil sollte man in einer ruhigen Atmosphäre und in Abwesenheit des Kindes  dessen Familiengeschichte mit Namen, Alter und Wohnort, sowie die Verwandtschaftsbeziehungen und Krankheiten in der Familie ausführlich dokumentieren. So können z.B. Ungereimtheiten im Sozialbericht ausgeräumt werden. Umgekehrt sollte man auch die eigene Familiengeschichte einschließlich Adresse und Telefonnummer an die abgebende Familie weitergeben.

Was tun, wenn das Kind verlassen aufgefunden oder ausgesetzt wurde? Hier steht die Suche nach der Herkunftsfamilie im Vordergrund. Sie ist erheblich schwieriger jedoch nicht unmöglich. Ein Besuch des Fundorts ist wichtig - zur Dokumentation für das Kind, aber auch, um dort selbst Fragen zu stellen. Man kann Visitenkarten hinterlassen und zur Not noch jemanden beauftragen, nach Hinweisen zur Herkunft des Kindes zu suchen. Dies ist in Ländern wie Äthiopien nicht immer ganz einfach. Tipps für eine solche Suche am Beispiel Chinas gibt es hier. 

Langfristig ist auch in der internationalen Adoption die offene Adoption der einzig ethisch korrekte Weg. Wenn Kinder die Familie wechseln, haben sie einfach zwei Familien. Das gilt es zu akzeptieren und den Umgang damit zu lernen.

Dienstag, 7. Juni 2011

Waisen 2.Klasse?

Sind nur Vollwaisen vollwertige Waisen? Ist darum die Adoption von Halbwaisen und Sozialwaisen’ gleich per se verdächtig? Manche Kommentare hier gehen in diese Richtung – und damit an einer schmerzlichen Realität vorbei.

Neugeborene Kinder, die – oft unter lebensgefährlichen Umständen – auf der Straße ausgesetzt gefunden werden, haben wahrscheinlich noch Mutter und vielleicht auch Vater, sind also begrifflich keine Vollwaisen, sondern verlassene Kinder. Diese Aussetzungen kommen häufiger vor, als manche wohl wahrhaben wollen. Und weil die Aussetzungen das Kind anonymisieren, kann ihnen auch das Umfeld von Verwandten und Nachbarn nicht mehr helfen – es ist ausgelöscht.

Äthiopien hat erst vor relativ kurzer Zeit die Adoptionsfreigabe zugelassen – auch um die Zahl der Säuglinsaussetzungen zu verringern. Man kann getrost davon ausgehen, dass die Verbreitung dieser Fälle dort wohlbekannt ist.

Ähnliches gilt für die Sozialwaisen’ – oder wie auch immer man sie bezeichnen möchte. Bei Sozialwaisen – das sagt schon der Begriff – ist das soziale Umfeld zerstört und nicht mehr in der Lage, dem Kind Halt zu geben. Diese Kinder sind häufig schwerer traumatisiert als jene, die den (erwiesenen) Tod ihrer Eltern zu verkraften haben; sie empfinden das Verlassenwerden oft lebenslang als persönliche Demütigung und sind in besonderem Maß auf stabile und verlässliche Lebensverhältnisse und Bezugspersonen angewiesen.

Gibt es im Heimatland keine geeigneten Personen und Strukturen, dann kann die Adoption in ein anderes Land diesen Kindern Halt und Familie geben – so das Haager Übereinkommen. Dass es in den Adoptionsverfahren Missbrauchsmöglichkeiten und Missbrauchsfälle gibt, war Grund dafür, diese Seite ins Netz zu stellen - und ist fast schon ein Gemeinplatz.

Es wäre fatal, wenn die Not der Kinder darüber in Vergessenheit gerät.

Montag, 6. Juni 2011

Mythos und Wirklichkeit - Regeln II

Als wir begannen, uns mit ethischen Fragen in Internationalen Adoptionen zu beschäftigen, wurden wir gewarnt. Kritiker der IA würden von der Adoptionslobby bedroht, erhielten Hassmails und würden beschimpft. Wir beschlossen mit naiver Zuversicht, in diesem Blog dennoch eine offene Diskussion auch über schwierige Fragen zu führen.

Die Reaktionen haben uns überrascht. Statt von der Adoptionslobby werden wir seit Tagen von Adoptionskritikern persönlich und mit unterschwelliger Drohung angegriffen. Jeder, der sich nur ansatzweise von der Schwarzweissmalerei zwischen 'Kinderrettung' und 'Kinderhandel' entfernen möchte, ist scheinbar ein erklärtes Ziel selbsternannter Kinderrechtsaktivisten, denen weniger das Wohl der Kinder am Herzen liegt als ihr eindimensionales Weltbild. Der Kampf um Adoption findet leider auch auf unserem Blog statt, der eigentlich ein Forum für Offenheit und Toleranz sein will.

Wir bedauern dies sehr, können aber unsere persönliche Integrität nicht schutzlos weiteren Angriffen aussetzen. Wir werden daher in Zukunft die Kommentare moderieren müssen. Sachliche Beiträge sind weiterhin herzlich willkommen.

Samstag, 4. Juni 2011

Gelgela

In mehreren Kommentaren wurde hier das Kinderheim Gelgela genannt und mit unethischen Praktiken in Verbindung gebracht. Dazu wurde der Vorwurf erhoben, EVAP arbeite trotz dieser Vorwürfe weiter mit Gelgela zusammen.

Zum Hintergrund: Im März 2010 hat das amerikanische Außenministerium Vermittlungsstellen darauf aufmerksam gemacht, dass aufgrund von Unregelmäßigkeiten Visaanträge für Kinder aus Gelgala gesondert geprüft würden und daher bis zu acht Wochen dauern können. Die amerikanische Elternorganisation PEAR hat daraufhin eine Liste von Vermittlungsstellen ins Netz gestellt, auf der auch die deutsche Vermittlungsstelle "Eltern für Afrika" als Kooperationspartner von Gelgela genannt wurde.

Uns liegt eine halböffentliche Stellungnahme des EVAP dazu vor, datiert vom August 2010. Darin heißt es u.a,, dass EVAP in seiner Zusammenarbeit keine Anhaltspunkte dafür habe, dass das Heim wissentlich falsche Angaben, über die zur Adoptionsvermittlung vorgeschlagenen Kinder gemacht, oder die äthiopischen Bestimmungen für die Aufnahme von Kindern in Heime nicht eingehalten habe. Die leiblichen Verwandten der Kinder hätten EVAP gegenüber immer die Richtigkeit der Angaben bestätigt. Dennoch habe EVAP aufgrund der aufgetauchten Vorwürfe auf Verbesserungen im Heim gedrungen und die weitere Zusammenarbeit nurmehr auf ein Jahr befristet.

Zweierlei wäre demnach festzuhalten:
  • Dass EVAP reagiert hat und auf die Einhaltung bestimmter Standards drängt.
  • Dass im Sommer diesen Jahres die Zusammenarbeit erneuert werden muss und die erneute Zusammenarbeit von der Einhaltung der Standards abhängig ist. 

Grundsätzlich ist es richtig, Vorwürfen zunächst nachzugehen und den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, Missstände auszuräumen und die Praxis zu verbessern. Gleichwohl reicht es nicht aus, wenn das Heim sich hinter Nichtwissen versteckt. Es hängt nun davon ab, ob seit Sommer letzten Jahres Unregelmäßigkeiten in Gelgela stattfanden und wenn ja, wie EVAP darauf reagieren wird.