Dienstag, 31. Mai 2011

Die Bilder, die wir lieben

'The Lie We Love' erschien im Winter 2008 im Foreign Policy Magazine. Die Journalistin E.J. Graff beschrieb darin den Mythos der Millionen verlassener Kinder (Babies) in Waisenhäusern armer Länder, die von westlichen Familien gerettet werden. Der Mythos war, dass in der Realität die meisten Kinder noch Eltern hatten, krank und älter waren, und tatsächlich ein Teil der Babies, die adoptiert wurden, mit zweifelhaften Methoden ihren Eltern abgeschwatzt oder gestohlen wurden. Die Schuldigen seien nicht die adoptierenden Eltern, die meist naiv und mit gutem Willen einem Kind ein neues Zuhause geben wollen, sondern Mittelsmänner (und -frauen), Heime, Regierungsstellen und Vermittlungsstellen, die an der Transaktion vom Heim zur Adoption hohe Beträge fordern und auch verdienen.

Belege für diese Argumentation gibt es genügend. Babyhandel gab es in Guatemala und neuerdings in China. Kindesentführungen sind aus Indien und Nepal bekannt. Skrupellose Heimleitungen gibt es in den meisten Ländern, die Kinder ins Ausland vermitteln. Diese Art der Berichterstattung ist sinnvoll, um die Beteiligten ein wenig wach zu rütteln und ihnen zu verstehen zu geben, dass die Öffentlichkeit ein Auge auf die Praktiken hat.

Langfristig verdeckt jedoch die skandalisierende Presse mehr, als sie aufklärt. Sie mobilisiert anstatt zu informieren. Sie agitiert, indem sie den Betrug in den Vordergrund stellt und pars pro toto den Betrug zum System erklärt. Z.B. ist der Hinweis dass die Auslandsadoption eine unregulierte Industrie sei, eine beliebte aber falsche Behauptung. Jede Adoptionsanerkennung eines ausländischen Gerichts durch ein deutsches, jede Visaerteilung und Einbürgerung im Ausland adoptierter Kinder sind hochgradig regulierte Verfahren. Deutsche Gerichte lehnen Anerkennungsanträge regelmäßig ab, wenn die Verfahren nicht den deutschen analog sind und Alternativen nicht geprüft wurden. Dies schmerzt die betroffenen Familien, ist aber für Vermittlungsstellen Grund genug, die bestehende Regulierung ernster zu nehmen.

Wenn die Visastellen amerikanischer Botschaften sich bei vielen Visaanträgen "unwohl" (Graff, S. 65) fühlen, dann ist dies der Moment, an dem sie tätig werden müssen. Und im Unterschied zum Mythos der unregulierten Industrie werden amerikanische Botschaften immer wieder tätig und erkennen die Adoptionspapiere in den Visaanträgen nicht an. Im letzten Jahr strandeten 80 Familien in Nepal; zurzeit gibt es Prüfungen in Kambodscha. Notfalls werden Länder komplett geschlossen.  In der Folge gibt es trotz des Mythos einer vernetzten und scheinbar profitablen Industrie mit einer machtvollen Lobby im Rücken stetig fallende Zahlen von Adoptionen und immer mehr für Adoptionen geschlossene Länder.

Auslandsadoptionen sind nicht optimal reguliert. Sie weisen zu viele Unregelmäßigkeiten und korrupte Mittelsmänner in vielen Verfahren auf. Die bestehende Regulierung über Visaerteilung und Anerkennungsverfahren von Gericht ist zu indirekt, bürokratisch und greift zu spät. Das ist unbestritten. Das Bild einer unregulierten Milliardenindustrie trifft jedoch ebensowenig zu. Es ist in einer Welt voller Skandale ein Bild, das als Gegenpart zur Idylle der Adoptivfamilie gerne porträtiert wird. Die Wahrheit ist, wie so oft, in der Mitte angesiedelt; komplex, kompliziert und weniger geeignet für eine gute Story.

Montag, 30. Mai 2011

Better Care Network

Seit 2003 gibt es das Better Care Network als einen Zusammenschluss von mehreren UN-Organisationen, der amerikanischen Entwicklungsorganisation USAID und NGOs (Save the Children UK). Ursprünglich als ein loses Netzwerk gedacht gibt es seit 2005 eine Koordinierungsstelle unter dem Dach von UNICEF in New York. Die Arbeit des Netzwerks zielt auf die Lücke zwischen der Erkenntnis, dass Kinder ein Recht auf eine Familie haben, und der Tatsache, dass Millionen Kinder in Kinderheimen leben. Über eine Million Kinder haben ihre Eltern in Bürgerkriegen und Kriegen verloren und mehr als 15 Millionen Kinder einen oder beide Elternteile durch AIDS. In vielen Ländern sind Kinderheime noch immer die Antwort auf Armut und zerbrochene Familien. In noch mehr Ländern gibt es nur wenige Maßnahmen, die dafür sorgen, dass die Kinder angemessen untergebracht werden und Pflegefamilien unterstützt aber auch kontrolliert werden. Es gibt einen großen Bedarf an Altenativen zur Heimunterbringung, wenn eine Trennung von den Eltern erfolgt  oder unausweichlich ist.

Im November 2009 verabschiedete die Generalversammlung der UNO eine Resolution, in der sie die "Guidelines for the Alternative Care of Children" im Zusammenhang mit dem 20. Jahrestag der UN-Kinderrechtskonvention begrüßt. Die Richtlinien sind lesenswert, da sie der Prävention einen überragenden Stellenwert einräumen. Die Eltern oder der Vormund eines Kindes, die dieses abgeben möchten, sollen betreut und unterstützt werden, um das Verlassen des Kindes zu verhindern. Die Reintegration der Familie ist vorrangig. Nur wenn die Reintegration der Familie nicht gewährleistet werden kann, kommen andere Formen der Pflege verlassener Kinder in Betracht. Dazu gehören neben Pflegefamilien und familienähnlichen Unterbringungen auch die Adoption und Kafala. Notwendigkeit und Angemessenheit sind die Stichworte, die den Richtlinien zugrunde liegen. Ein richtiger und wichtiger Schritt nach vorn.  

Donnerstag, 26. Mai 2011

T.i.A.

Alle ethischen Debatten um Auslandsadoption rühren an eine Frage, die erstaunlich selten explizit aufgeworfen wird: Können wir von anderen Ländern die Einhaltung von Normen und Standards verlangen, die für uns selbst ethisch unabdingbar sind? Ist das – gerade gegenüber afrikanischen Staaten – nicht anmaßend, gar Ausdruck postkolonialistischer Überheblichkeit und geradezu imperialistisch? Müssen wir nicht akzeptieren, dass anderswo vieles einfach anders ist? Doch was ist umgekehrt von Sätzen zu halten wie Von denen kann man das sowieso nicht erwarten’ oder einfach „This is Africa!” (T.i.A.)? Ist das nicht ebenso herablassend?

Es gibt in der Tat auch unter Adoptiveltern manchmal eine Haltung von Augen zu und durch!’ – damit sei den Kindern mehr geholfen als mit einem womöglich langwierigen (und mit deutscher Akribie’ durchgeführten) Verfahren, das dann wirklich ’auch den letzten rechtstaatlichen Anforderungen’ entspricht. Kindeswohl wird hier vom Ergebnis her gedacht: Entscheidend ist, dass das Kind raus aus dem Heim oder runter von der Straße ist. Aber welche Mittel heiligt dieser Zweck?

Diese Fragen rühren an einen Konflikt, der heute häufig im Zusammenhang mit multikulturellen Gesellschaften diskutiert wird. Zwei Positionen lassen sich hier benennen: Der Kulturrelativismus, der andere Kulturen in ihrer Eigenart und Entwicklungsgeschichte zu sehen bereit ist und grundsätzlich zu Toleranz aufruft, tritt dem Universalismus gegenüber, der bestimmte für alle Kulturen verbindliche Normen wie etwa die Menschenrechte einfordert.

Es fragt sich also: Muss es universelle, für die gesamte Menschheit geltende Normen geben oder sind jeweils spezifische Kulturen die einzige Legitimationsquelle für rechtliche und moralische Prinzipien?“ (So Wolf-Dieter Vogel in der TAZ.)

Das klassische Rechts-Links-Spektrum bietet hier keine Orientierung, noch weniger ein positiver Rassismus’, der geneigt ist, andere Kulturen über die eigene zu stellen und deren Eigenheiten blind zu begrüßen.

Vor einiger Zeit ist hierzu ein bemerkenswertes Buch erschienen: Imke Leicht – Multikulturalismus auf dem Prüfstand (Berlin 2009). Hier wird gerade im Hinblick auf die Menschenrechte eine dezidiert universalistische Position vertreten. Dass Justizgrundrechte zu den Menschenrechten zählen, dürfte bekannt sein. Aber auch die Verfahrensanforderungen, wie sie z.B. an anderer Stelle auf dieser Seite aufgeführt sind, müssen als Ausformungen der Menschenrechte gesehen und dürfen nicht leichtfertig zur Disposition gestellt werden.
Und um auf Äthiopien zurückzukommen: Man kann den Eindruck haben, als gebe es dort den politischen Willen, bei den Auslandsadoptionen die Menschenrechte auch verfahrensmäßig umzusetzen. Jedenfalls scheint die äthiopische Regierung bemüht, Missstände in Adoptionsverfahren zu unterbinden. Auch das ist Afrika.

Mittwoch, 25. Mai 2011

Einige grundlegende Regeln

Wir betreiben den Blog, um eine Debatte über ethische Fragen in Auslandsadoptionen zu führen. Wir suchen den Dialog aber auch den Widerspruch. Wir sind gerne bereit, uns mit harten Argumenten auseinanderzusetzen und Vorwürfen nachzugehen. Wir wollen eine durchaus kontroverse Debatte schwieriger Themen auf einem sachlichen Niveau.

Um nicht in Polemik abzugleiten, brauchen wir ein paar Regeln:

  1. Wenn ein Vorwurf insbesondere ein schwerwiegender erhoben wird, müssen Ross und Reiter benannt werden, bzw. Belege erbracht werden.
  2. Persönliche Anfeindungen und Anspielungen auf private Erfahrungen auch unterschwelliger Art ("ihr Ethiker") provozieren ohne die Diskussion weiter zu bringen. In Zukunft werden Kommentare mit diesem Inhalt gelöscht.

Montag, 23. Mai 2011

Ethik definieren und umsetzen

Das Thema Ethik in der Auslandsadoption ist kein Neues und daher gibt es bereits eine Reihe von Dokumenten, auf die sich die Diskussion beziehen kann. Zentral sind dafür die UN-Konvention über die Rechte des Kindes von 1989 sowie die Haager Konvention von 1993, auf die wir schon hingewiesen haben.

Es gibt darüber hinaus noch weitere Dokumente, die die ethischen Prinzipien, die einer Adoption zu Grunde liegen müssen, weiter definieren. Ein umfassender Prinzipienkatalog stammt vom Schweizer Service Social International (SSI) und wurde in Zusammenarbeit mit Experten in der ganzen Welt erarbeitet.
Auch die europäische Dachorganisation für Vermittlungsstellen euradopt hat einen Katalog ethischer Prinzipien verabschiedet, die denen von SSI ähnlich sind.

Die Prinzipien dürften unstrittig sein - es sei denn, man lehnt Auslandsadoptionen grundsätzlich ab. Gleichwohl wird schnell klar, dass wohlmeinende Prinzipien häufig fern der Praxis sind. Insbesondere der Sozialbericht über das Kind, die Abklärung der Alternativen im Land, die Zukunftsprognose werden schnell in Richtung Auslandsadoption und wenig in Richtung Rückführung in die Herkunftsfamilie geprüft.

Wie kann man die Praxis stärken? Zum einen könnten die Jugendämter höhere Anforderungen an die Sozialberichte der Kinder stellen. Sie könnten die Vermittlungsstellen auffordern, die Herkunft des Kindes nachzurecherchieren, wenn z.B. die Identität der Eltern nicht festgestellt wurde, obwohl Angehörige auffindbar sind. Sie könnten um Stellungnahmen der Familien zur Adoption bitten sowie Ungereimtheiten aufklären. Sie könnten Sozialberichte für die Adoptiveltern selbst durchführen, anstatt sie an die Vermittlungsstellen zu delegieren und somit Rollen- und Interessenkonflikte verhindern. Sie könnten als Aufsichtsbehörden stärker tätig werden, wenn fehlerhafte Angaben im weiteren Adoptionsverlauf bekannt werden.

Zum anderen könnten Vermittlungsstellen selbst aktiv werden. Der Ethikkatalog von Euradopt ist reaktiv; er greift also erst, wenn Skandale bekannt werden. Vermittlungsstellen könnten sich jedoch proaktiv Zertifizierungsverfahren unterziehen, die dokumentieren, wie sie den ethischen Prinzipien in ihrer Arbeit nachkommen.  Sie könnten ihre Nachsorgeseminare und Betreuung ausbauen. Sie könnten Jahresberichte publizieren, in denen sie die Maßnahmen zur Umsetzung ethischer Prinzipien dokumentieren.

Adoptiveltern wiederum können ethische Verfahrenswege und Verhaltensweisen im Adoptionsprozess nachfragen. Sie können Vermittlungsstellen nicht nur nach der Verfahrensdauer sondern auch nach ihren ethischen Prinzipien aussuchen.     

Alle drei Seiten könnten stärker zusammenarbeiten, Erfahrungen austauschen, Bewusstsein schaffen und somit die Werbetrommel für ethische Auslandsadoptionen rühren. Sie könnten Selbstverpflichtungen unterzeichnen und diese offen proklamieren. Sie könnten einen Tag der Ethischen Adoption einführen. Es gibt viele Möglichkeiten.

Mittwoch, 18. Mai 2011

Was bedeutet das Leben im Heim?

Ethische Fragen in internationaler Adoption betreffen nicht nur die Adoptionsverfahren sondern auch die Heimunterbringung von Kindern. Adoptionen sind begründet, wenn sie dem Kindeswohl mehr dienlich sind als eine Unterbringung im Heim. Es gibt seit mehr als fünfzig Jahren empirische Forschungen zum Thema Auswirkungen von Heimunterbringung und diese sind eindeutig. Als ein Beispiel für eine sogenannte Metastudie (eine Studie die die Ergebnisse anderer Studien zusammenfasst) sei hier auf den Aufsatz von Johnson et al. verwiesen, die aus einer Gesamtzahl von über 2.500 empirischen Studien 27 herausgriffen und deren Ergebnisse zusammenfassend auswerten.

Frühe Heimunterbringung hat folgende Auswirkungen für die betroffenen Kinder:
  • physische Unterentwicklung (Gewicht, Größe, Kopfumfang)
  • Hör- und Sehbehinderungen
  • verzögerte motorische Entwicklung
  • schlechterer Gesundheitszustand allgemein
  • Lernschwierigkeiten
  • soziale Auffälligkeiten
  • Bindungsschwierigkeiten
  • emotionale Probleme
  • niedrigere Intelligenz
  • verminderte kognitive Leistungsfähigkeit

In der Studie wird zudem am Beispiel rumänischer Kinder, die nach Großbritannien adoptiert wurden, gezeigt, dass bei Kinder diese frühen Schäden durchaus wieder reparabel sind, wenn sie in Familien kommen, die sie in ihrer Entwicklung unterstützen.

Die Studie schliesst mit folgenden Worten: "Analytische epidemiologische Studiendesigns (einschliesslich Kontrollgruppen) zeigen, dass junge Kinder in Heimunterbringung ohne Eltern Risiken von Schädigungen bezüglich Bindungsstörungen und Entwicklungsverzögerungen in sozialen, verhaltens- und kognitiven Bereichen ausgesetzt sind. Verzögerung in Wachstum, Nervenentwicklung und abnormale Gehirnentwicklungen wurden zudem festgestellt. Die Vernachlässigung und der Schaden, der durch Heimunterbringung erfolgt, ist einer Gewaltanwendung an kleinen Kindern gleichzusetzen."

Es sei als Reaktion auf einen Kommentar noch darauf hingewiesen, dass keiner der Autoren von Adoptionsagenturen finanziert wurde und zumindest einer der Autoren der Metastudie internationalen Adoptionen ausgesprochen kritisch gegenübersteht, da diese oftmals nicht vom Kindeswohl getrieben seien. 

Dienstag, 17. Mai 2011

IDENTITÄTEN

Adoptiveltern sind manchmal verstört, wenn ihre Kinder die Adoption nicht als die Wohltat betrachten, die sie selbst darin sehen. Die SonnTAZ vom 14./15.Mai 2011 enthält ein Interview mit der Malerin Lita Castellut, die mit 13 Jahren als Straßenkind von einer Adoptivmutter aufgenommen wurde. Lesenswert ihr heutiger Rückblick auf die Konflikte, die damit aufbrachen.

Die TAZ ist im übrigen dankbar für Spenden bei Nutzung ihres Online-Archivs.

Montag, 16. Mai 2011

CHILD GRABBING?

Kann man die Kosten einer Adoption eigentlich von der Steuer absetzen? In Deutschland nicht, in anderen Ländern, auch in europäischen, durchaus. In den USA als klassischem Einwanderungsland gibt es einen National Adoption Day, an dem dann auch die Einbürgerung von ausländischen Adoptivkindern zeremoniell begangen werden kann.

Staatlicherseits sind bei uns ausgebildete ausländische IT-Spezialisten willkommen, Kinder nicht, Flüchtlinge schon gar nicht. Adoption fühlt sich da leicht an wie eine Extremsportart, die eben jeder auf eigenes Risiko betreibt.

Aber muss das für alle Zeiten so bleiben? Manche Statistiken sagen heute schon für die nicht allzu ferne Zukunft Vollbeschäftigung und dann auch Arbeitskräftemangel voraus. Die Überalterung der Gesellschaft ist thematisch längst in der Mitte der öffentlichen Debatten angekommen. Wird vielleicht demnächst Auslandsadoption als ein Gegenmittel entdeckt und entsprechend gefördert? Kommt es nach dem land grabbing’ in Afrika zu einem child grabbing’? Oder ist das schon längst im Gange, nur Deutschland hinkt noch hinterher? Sind die Risikosportler von heute vielleicht ohne es zu wollen die Avantgarde einer neuen Entwicklung?

Das alles mag noch sehr nach Zukunftsmusik klingen, vor allem wenn man die aktuell rückgängigen Adoptionszahlen berücksichtigt. Aber wenn plötzlich die Bundesfamilienministerin ankündigt, die Adoptionsregeln lockern zu wollen, dann lässt das aufhorchen. Das Mitleid mit ungewollt kinderlosen Paaren steht zwar im Vordergrund, doch den Hintergrund bilden deutlich demographische Überlegungen. Was im Grunde auch legitim ist: Von einer an der Zukunft des Gemeinwesens orientierten Politik kann man verlangen, dass sie über den Tellerrand der jeweiligen Legislaturperioden blickt.

Wir werden aber sehr genau verfolgen müssen, wie ernst künftig die Nachrangigkeit der Auslandsadoption genommen wird – gegenüber Versorgungsmöglichkeiten der Kinder in ihrem Heimatland. Und ob es eine Tendenz gibt, das Kindeswohl kategorisch in den Ländern der Nordhalbkugel anzusiedeln.

Mittwoch, 11. Mai 2011

Wie kommt das Kind ins Heim?

Diese Frage stellte ein Kommentar zum Thema 'Was sind ethische Adoptionen'. Das ist eine wichtige Frage, denn die Heimunterbringung ist die Schlüsselentscheidung für eine mögliche Adoption. Erst ein verlassenes Kind braucht neue Eltern. Eine Unterbringung im Heim für eine gewisse Zeit dient in der Regel als Beleg, dass das Kind verlassen wurde. Es gibt zu dieser Diskussion  zwei Argumente, die von Adoptionskritikern ins Feld geführt werden.

Das erste ist der Hinweis, dass Adoptionen an sich bereits zum Verlassen von Kindern führen. Weil es die Möglichkeit der Adoption gibt, seien Eltern oder Verwandte bereit ihre Kinder ins Heim zu geben, um ihnen durch die Adoption ein besseres Leben zu ermöglichen. Ohne das Vorhandensein von Adoptionen würden weniger Kinder verlassen. Einen Beleg für diese Behauptung gibt es leider nicht, obwohl er nicht so schwer zu erbringen wäre. Viele Länder kennen das Instrument der Auslandsadoption überhaupt nicht. Werden dort weniger Kinder verlassen als in Ländern mit Auslandsadoptionen? Hat sich in Äthiopien die Zahl der verlassenen Kinder erhöht, seitdem die Zahl der Adoptionen anstieg? Ist dies auf Adoptionen zurückzuführen? Schafft die Nachfrage tatsächlich das Angebot? Wir wissen es nicht und sind für jeden belastbaren Hinweis dankbar. Allerdings sei nochmals darauf verwiesen, dass UNICEF die Zahl der (halb)Waisen in Äthiopien auf knapp 5 Millionen schätzt und die Zahl der Adoptionen im Jahr bislang nicht höher als 5000 lag. Das ist weniger als ein Promille. Das soll nicht die Korruptionsproblematik beschönigen sondern nur darauf hinweisen, dass es höchstwahrscheinlich einen tatsächlichen Bedarf gibt, der durch unethische Praktiken erstmal nicht beseitigt wird.

Der zweite Hinweis ist ein anderer Umgang mit Heimunterbringung in ärmeren Ländern. Eltern bringen ihre Kinder ins Heim, weil sie vorübergehend nicht für sie sorgen können. Oder um ihnen eine bessere Erziehung zu ermöglichen. Dies wird zum Beispiel in diesem Beitrag über Kinderhandel in Nepal bestätigt. Hierzu ist zu sagen, dass in diesen Fällen offensichtlich keine Adoption angemessen ist. Wo Eltern vorhanden sind, sind Kinder nicht elternlos. Wie in dem Beitrag deutlich wird, gibt es die Heime, die die Kinder von den Eltern fernhalten, weil sie finanzielle Zuwendungen im Falle von Adoptionen erhalten.

Um Korruption und Kinderhandel auf dem Weg ins Heim auszuschliessen, ist die Dokumentation der Herkunft des Kindes von zentraler Bedeutung. In jedem Fall müssen direkte finanzielle Zuwendungen für Adoptionen reguliert, limitiert und in diesen Fällen auch ganz abgestellt werden. Es darf keinen finanziellen Anreiz zur Abgabe oder Adoption eines Kindes geben, weder für die Heime noch für die Eltern.

Adoptionen sind eine Hilfe für verlassene Kinder, sie dürfen aber kein Grund zum Verlassen eines Kindes sein.

Dienstag, 10. Mai 2011

Stark und schwach

Die Tenorierung der Entscheidungen, mit denen deutsche Gerichte die in Äthiopien vorgenommenen Adoptionen bestätigen und in eine für Deutschland gültige Adoption umwandeln, hat immer wieder zu Missverständnissen geführt. Zumindest in einem Punkt rührt das auch an eine schwierige Rechtsfrage. Wir haben uns darum an das Bundesjustizamt (BJA) mit Bitte um Klärung gewandt.
Im einzelnen:
1.) Im ersten Satz des Tenors wird das Adoptionsurteil des äthiopischen Gerichts anerkannt. Für diese Feststellung wird das dort durchgeführte Verfahren summarisch überprüft.
2.) Der zweite Satz (Das Eltern-Kind-Verhältnis zu den bisherigen Eltern …. ist nicht erloschen.’) bezieht sich nur auf die in Äthiopien durchgeführte Adoption. Er stellt lediglich fest, dass mit dem äthiopischen Urteil eine sog. Schwache Adoption’ ausgesprochen wurde – die das Eltern-Kind-Verhältnis rechtlich beibehält. Mögliche Unterhalts- und auch Erbansprüche bestehen z.B. unter Umständen fort.
3.) Die deutsche Adoption hebt dieses rechtliche Verhältnis auf. Darum wird im dritten Satz des Tenors dann ausgesprochen, dass das Kind nunmehr auch als nach deutschem Recht adoptiert gilt.
Das dürfte vielen so weit bekannt sein. Trotzdem blieb die Frage offen, was nach der Umwandlung mit den (nach äthiopischem Recht) fortgeltenden Bindungen geschieht. Der deutsche Gerichtsbeschluss vermag ja nicht das äthiopische Urteil aufzuheben – das wird in Äthiopien also weiter wirksam bleiben. Aber ist das äthiopische Urteil umgekehrt stärker als der deutsche Beschluss? Oder anders gefragt: Könnten z.B. mögliche Unterhaltsansprüche aus Äthiopien hier eingeklagt werden?
Dazu liegt uns nun die Antwort des BJA vor:
Solche Ansprüche sind in Deutschland nicht durchsetzbar. Denn gemäß § 109 Abs. 1 Nr. 3 FamFG werden ausländische Entscheidungen in Deutschland nicht anerkannt, die mit einer hier erlassenen Entscheidung unvereinbar sind.
Eine dahingehende Klage würde also in Deutschland abgewiesen.
In der Praxis mag das bei Waisenkindern und verlassenen Kindern keine große Rolle spielen. Wer soll da in Deutschland Klage erheben?
Wichtig wird die Frage allerdings beim Blick auf Fälle, wo Mütter/Väter/Eltern in Äthiopien zur Abgabe ihrer Kinder überredet werden – u.U. mit dem Hinweis darauf, dass die Kinder später zu ihrem Unterhalt beitragen können und auch müssen. Nach äthiopischem Recht wäre das tatsächlich möglich (und darum auch nicht gelogen), nach deutschem allerdings nicht. Rechtlich sind sie hier sozusagen außer Reichweite.
Die Asymmetrie der Verfahren (dort schwache, hier starke Adoption) birgt also ganz eigene Risiken: Die abgebenden Eltern(teile) müssten eigentlich darüber aufgeklärt werden, dass sie in eine wahrscheinlich endgültige Trennung von ihren Kindern einwilligen und insbesondere nach einer Vermittlung ins Ausland das äthiopische Adoptionsrecht nicht mehr greift. Nach deutschem Recht ist eine solche Aufklärung gesetzlich vorgeschrieben (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 AdWirkG). Aber jeder Betroffene hier mag sich einmal selbst befragen, wie genau er die oben behandelten Rechtsfragen gekannt und die Antworten verstanden hat.
Immerhin kann es als Fortschritt gelten, dass es seit 2 Jahren in Äthiopien ein förmliches Freigabe-Verfahren gibt. Und wenn die aktuelle MOWA-Entscheidung (s.u.) dort auch in diesem Punkt zu korrekteren Verfahren beiträgt, wäre dann nicht allen Seiten gedient?

Was sind ethische Adoptionen?

Als Kommentar zum Posting "Was steckt hinter der Mowa-Entscheidung?" wurden wir gefragt: Wie definiert ihr ethische Adoptionen? Das ist eine schwierige Frage, aber einige Hinweise gibt es auf unserer website und eine kurze Antwort ist die Folgende:

Eine ethische Adoption ist eine Einzelfallhilfe für elternlose Kinder, die einer Heimunterbringung vorzuziehen ist. Dazu gehört weiterhin:
  • eine wahrheitsgetreue Dokumentation der Herkunft, der Familienentwicklung und des physischen und psychischen Gesundheitszustands des Kindes analog der Adoptionsverfahren in Deutschland;
  • der Ausschluss finanzieller, politischer oder anderer privater Interessen an der Adoption;
  • die umfassende Information der Herkunftsfamilie über den Adoptionsprozess und die Folgen einer Adoption einschliesslich der Wahrung der Rechte der Eltern;
  • bei älteren Kindern auch eine Beteiligung des Kindes am Adoptionsverfahren; 
  • die umfassende Betreuung und Beratung der adoptierenden Familie über alle das Kind betreffenden Aspekte. 
Wenn diese Kriterien erfüllt sind, ist eine Adoption eine sinnvolle Massnahme zum Wohl des Kindes auch über die Grenzen hinweg.

Sonntag, 8. Mai 2011

Was steckt hinter der MOWA Entscheidung?

Anfang März 2011 entschied die äthiopische Regierung, die Zahl der Adoption von bislang 50 auf 5 am Tag zu reduzieren, um das Verfahren zu verbessern und die zugrunde liegenden Dokumentationen genauer zu prüfen. Was führte zu der Entscheidung? Um es vorweg zu nehmen: wir wissen es nicht. Die gesammelte Blogosphäre der Adoptionsaktivisten hat noch keine überzeugende Erklärung dafür gefunden. Es gibt jedoch eine Reihe von Erklärungsansätzen, die im Raum stehen:

1.   Es gibt eine Vermutung, dass die äthiopische Regierung die UN Konvention über die Rechte des Kindes aus ihren Schubladen ausgegraben hat und nun ernst nehmen möchte. Das erscheint in Anbetracht der Berichte über andauernde Menschenrechtsverletzungen in Äthiopien mehr als naiv.
2.   Eine andere Vermutung geht von einem zunehmenden Druck internationaler Organisationen aus. UNICEF steht den Adoptionsverfahren in Äthiopien kritisch gegenüber. Es ist jedoch keine Position bekannt, die offen mit dem Entzug von Hilfeleistungen droht.
3.   Die amerikanische Regierung könnte auch auf bessere Verfahren gedrungen haben. Sie steht einerseits unter massivem Druck der Adoptionslobby, andererseits haben sowohl die Botschaft als auch die Einwanderungsbehörde USCIS große Probleme mit der Verarbeitung offensichtlich fehlerhafter Adoptionsbeschlüsse.
4.   Über Machtkämpfe und Korruption innerhalb der äthiopischen Regierung weiß man wenig. Allerdings soll es im Familienministerium zu personellen Veränderungen gekommen sein.
5.   Zudem gibt es Konflikte der Regierung mit südäthiopischen Regionalverwaltungen, die der Regierung kritisch gegenüber stehen und in den internationalen Adoptionsverfahren neue Finanzierungsquellen sehen. Es gibt unbestätigte Gerüchte, dass die Zentralregierung mit der Reduzierung der Adoptionen aus Südäthiopien den Regierungskritikern eine Finanzquelle abschneiden möchte.

Je nach Motivlage kann man Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit der Bemühungen der Regierung ziehen. Dabei wird schnell klar, dass eine Reduktion der Fallzahlen allein noch keine Reform in Gang setzt. Vielmehr besteht die Gefahr, dass durch geringere Vermittlungszahlen und ein gedrosseltes Engagement von Vermittlungsagenturen es zu verschärften Bedingungen der Kinder in Heimunterbringungen kommen kann, die dann durch eine neue Welle unregulierter Adoptionen beantwortet wird. Ob die Entscheidung von MOWA ein erster Schritt in die richtige Richtung oder vielmehr ein Ablenkungsmanöver war, bleibt weiter offen.

Donnerstag, 5. Mai 2011

Offene Worte

Im Jahresbericht der Adoptionsvermittlungsstelle AdA finden sich zum Thema Ethik offene Worte. Susana Katz-Heieck schreibt über "die Notwendigkeit, neue Konzepte für die Vermittlung älterer Kinder zu entwickeln und ein Umdenken zuzulassen: beide Seiten, sowohl Herkunfts- als auch Aufnahmestaaten sind unseres Erachtens gefordert, sich auf die Vermittlung älterer und/oder erkrankte Kinder vorzubereiten. Wenn die Vorbereitung auf die Vermittlung dieser Kinder nicht ernsthaft in fachliche Hand genommen wird und diese weiterhin als Ausnahmefälle und ohne besondere Programme zugelassen werden, wird die Quote der gescheiterten Adoptivelternschaften zunehmen."

Und sie führt weiter aus: "Denn die Ära des „Adoptionstourismus" geht langsam zur Neige, wie Dr. Benyam Mezmur aus Südafrika im General Meeting von Euradopt im Oktober 2010 in Oslo beteuerte. Die Suche nach dem Land, aus dem viele gesunde Babys adoptiert werden können, kann im Grunde langsam abgeschlossen werden. Der Vortrag der italienischen Kollegen, in dem sie über die Adoptionen in China berichteten, war die erstaunliche Bestätigung dafür: immer größer seien die Probleme, die bei Vermittlungen von Kindern aus China auftreten würden. Denn mittlerweile könne man sich nicht mehr auf den in den Kinderberichten beschriebenen Gesundheitszustand sowie auf die Altersangaben verlassen.

Auf dem General Meeting 2010 in Oslo ist zudem das Problem der Transparenz von Adoptionsverfahren angesprochen worden, die ewige, berechtigte Frage nach der ethischen Grenze. Dieses Thema wurde insofern diskutiert, da in der Kooperation mit manchen Herkunftsstaaten die Trennung der Adoptionen von humanitärer Hilfe nicht möglich ist. Die afrikanischen Kollegen stellten den europäischen Gästen die Frage: wie viele Spenden lassen Sie sich die Kooperation mit den Partnerorganisationen in den Herkunftsstaaten kosten? Die Vermittlungsstellen, die davon betroffen sind, beklagten sich wiederum darüber, dass die Herkunftsländer manche Prozesse der Aufklärung bzw. der Transparenz blockieren würden. Jede Bemühung, Adoptionen in eine offene Kooperationsstruktur umzuwandeln, würde mit der Androhung der Kündigung der Zusammenarbeit, im Extremfall mit der Durchsetzung dieser, bestraft."  

Montag, 2. Mai 2011

Verdachtsmomente

In den USA besteht die Möglichkeit, sich an das Department of State’ zu wenden, wenn man bei der Adoptionsvermittlung den Verdacht hat, es seien unethische Praktiken im Spiel.
Wir haben beim Bundesjustizamt (BJA) angefragt, ob es in Deutschland einen vergleichbaren zentralen Ansprechpartner gibt.
Nach Auskunft des BJA ist die Bundeszentralstelle für Auslandsadoption insbesondere dann zuständig, wenn es um Adoptionsverfahren mit Ländern geht, die das Haager Übereinkommen (HAÜ) unterzeichnet haben.
Wenn es sich um Staaten handelt, die das HAÜ nicht unterzeichnet haben (also z.B. Äthiopien), dann ist das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der vorrangige Ansprechpartner.
Aber auch die jeweils andere Stelle würde Hinweise auf Missstände entgegennehmen und bearbeiten.
Soweit die Auskunft des BJA. Der nächsten und sehr viel schwierigeren Frage muss sich jeder selbst stellen: Wenn einem – womöglich nach langer Wartezeit – endlich der Kindervorschlag vorliegt, dann beginnt sich doch gleich eine Beziehung zu diesem Kind auszubilden. Wann ist nun der geeignete Zeitpunkt, hier einem Verdacht, einem schlechten Gefühl nachzugehen? Wie lässt sich das durchsetzen gegen den Wunsch, es möge doch bitte alles in Ordnung sein und gut werden – und bitte auch nicht mehr so lange dauern? Hier zeigt sich ein Dilemma, das zumindest eines deutlich macht: Es gibt ein wohlverstandenes eigenes Interesse an einem korrekten und transparenten Verfahren.