Montag, 28. März 2011

Warum gibt es unethische Adoptionen in Äthiopien?

In Äthiopien leben nach Angaben von UNICEF 5 Millionen verwaister Kinder. Auch wenn dazu auch Halbwaisen gezählt werden, die bei einem Elternteil leben könnten und ein beträchtlicher Teil der Kinder im Familienverband verbleiben könnte oder zu alt für eine internationale Adoption sind, verbleibt noch immer eine hohe Zahl von Kindern, für die die äthiopische Regierung nicht ohne Weiteres sorgen kann. Warum gibt es dennoch eine so hohe Zahl von Beschwerden und Berichten über unethische Praktiken in äthiopischen Adoptionsverfahren? Warum gibt es Berichte über gefälschte Sozialberichte, falsche Angaben über Alter und Herkunft, unwissende Eltern, die unter Vorspiegelung falscher Versprechen ihre Kinder abgeben? Nach der Befragung der amerikanischen Elternorganisation PEAR haben fast 30% der befragten Eltern gleich mehrfach unethische Praktiken erlebt, die nicht entschuldbar waren. Dazu gehören alle sieben Todsünden der Auslandsadoption, wie wir sie definiert haben.
Eine Erklärung dafür ist der Wunsch nach möglichst kleinen Kindern. Viele Adoptiveltern möchte ein möglichst junges Kind (obwohl die Traumatisierung eines verlassenen Säuglings einer Trennung von Eltern und Familie von größeren Kindern nicht weniger gravierend ist). Kleine Kinder sind nur selten Vollwaisen und werden zunächst eher im Familienverbund versorgt. Um ihre Vermittlung schnell und unbürokratisch zu ermöglichen, werden nicht die formalen Wege eingehalten.  
Auch mangelnde Ressourcen dürften eine Rolle spielen. Nachforschungen über die Familien der Kinder und die tatsächlichen Umstände ihrer Abgabe ins Heim sind teuer. Die Wege in den äthiopischen Süden sind lang und die Kommunikation ist schwierig. Es gibt auch einen Wettbewerb zwischen den Vermittlungsstellen. Gerade amerikanische Vermittlungsstellen sprießen wie Pilze aus dem Boden. Sie müssen bestimmte Fallzahlen erreichen, um ihre Büros vor Ort wirtschaftlich betreiben zu können.
Der wichtigste und schwierigste Grund ist jedoch ein mangelndes Rechtsbewusstsein bei den Beteiligten. Immer wieder hört man den Einwand, dass man in Äthiopien nicht deutsche Maßstäbe anlegen dürfe. Dass es wichtiger sei, ein Kind in eine Familie zu bringen als allzu viele Fragen zu stellen. Dass eine äthiopische Analphabetin die Rechtsfolgen einer deutschen Adoption nicht verstehen kann. Dass es für die Kinder nicht so wichtig sei, welches Alter im Pass steht, solange sie nur ausreisen können. Diese Argumente sind falsch. Sie rauben den Kindern ihr Recht auf das Wissen ihrer Herkunft und Identität. Diejenigen, die mit internationalen Adoptionen zu tun haben, müssten idealerweise die gleichen Maßstäbe an die Dokumentation der Vermittlungssituation anlegen, wie im nationalen Kontext auch. Nur dann werden wir den Bedürfnissen der Kinder gerecht.